Anleitung zur Reduzierung der Nebenwirkungen von Methylphenidat (Ritalin, Medikinet usw.) bei der Therapie des ADHS

Aktuelles aus der Praxis zu Wechsel-/ und Nebenwirkungen diverser Medikamente

1. Kopfschmerzen

Als Nebenwirkung der Stimulanzientherapie sind sie oft Folge eines Glukose(Zucker)mangels bei zu geringer Nahrungszufuhr vor der Tabletteneinnahme.
Methylphenidat regt das Frontalhirn und einige mit ihm zusammenarbeitende Basalganglien an, was im Positronen-Emmissions-Tomogramm (PET: computertomographische Messung der Aktivitätsverteilung im Gehirn) eindeutig und sehr beeindruckend zu sehen ist.

Das bedeutet, dass der Glukoseverbrauch unter der Stimulanzienwirkung deutlich ansteigt und somit der Blutzuckerspiegel abfällt. Bei zu geringer Nahrungsaufnahme ist dann eine Hypoglykämie (Unterzuckerung) mit Kopfschmerzen, Müdigkeit (Gähnen), Blässe, Schwindelgefühl und Zittrigkeit die Folge.
Deshalb sollte auf ausreichende Nahrungszufuhr vor jeder Einnahme von Stimulanzien geachtet werden. Kommt es dennoch zu Kopfschmerzen, dann sollten alsbald als möglich oder besser noch sofort schnell verdauliche Kohlenhydrate, wie Traubenzucker, Bananen, glukosehaltige Fruchtsäfte, Süßigkeiten u.a. zugeführt werden zum schnellen Ausgleich des Glukosemangels im Blut.
Damit lassen sich die Kopfschmerzen beseitigen, vorausgesetzt sie bestehen noch nicht über Stunden. Bestehen dagegen die Kopfschmerzen schon über einige Stunden auf Grund einer Hypoglykämie bei erhöhtem Glukoseverbrauch infolge Stimulanzienwirkung, dann haben sich bereits im Gehirn saure Stoffwechselzwischenprodukte gebildet, die nicht mehr so schnell beseitigt werden können.
Es setzt nämlich bei erhöhter Hirntätigkeit und Glukosemangel ein Milchsäurestoffwechsel ein, dessen Zwischenprodukte intermittierend (zeitweise) zum leichten Hirnödem (vermehrter Flüssigkeitsgehalt im Gehirn) führen. Dieses Hirnödem löst durch seinen Druck auf die Hirnhäute, die der eigentliche Ort der Schmerzempfindlichkeit im Gehirn sind, die Kopfschmerzen aus.

Deshalb sollte auf eine ausreichende Nahrungsaufnahme während der Zeit der Stimulanzienwirkung geachtet werden. Lässt die Konzentration im Laufe des Schulvormittags trotz Methylphenidateinnahme am Morgen nach, so sollte nicht gleich eine weitere Tablette eingenommen, sondern erst etwas gegessen oder ein zuckerhaltiger Saft getrunken werden.

Viele Kinder und Jugendliche mit Stimulanzieneinnahme vor Schulbeginn berichten: „Bemerke ich etwa nach der 4. Schulstunde ein Nachlassen der Konzentration, dann esse ich sofort. Danach kann ich mich wieder besser konzentrieren.“

Überhaupt kann bei zu niedrigem Blutzuckerspiegel das Methylphenidat nicht gut wirken, denn das Stirnhirn braucht Glukose, um arbeiten zu können. Hyperaktive Kinder verbrauchen schon wegen ihres großen Bewegungsdranges viel Glukose. Essen sie dann am Morgen sehr wenig (keine Zeit, keine Aufforderung zum gemeinsamen Frühstück, keinen Appetit), und auch in der Schule aus den gleichen Gründen nichts oder viel zu wenig, so kann es sehr schnell zur Hypoglykämie kommen, die aber vermieden werden sollte.

 

2. Erhöhung der Herzfrequenz (Tachykardie)

Methylphenidat regt den Nervus sympathicus (dem Bewusstsein und Willen entzogenes Nervensystem) an, so dass es häufig bei Beginn der Behandlung durch zu schnelles Titrieren (Bestimmung der notwendigen Dosis), bei besonderer Empfänglichkeit oder infolge zu hoher Dosierung zum Herzrasen kommt.
Hier muss dann entsprechend gehandelt werden – langsamer titrieren oder die Dosis reduzieren. Übrigens tritt diese Erscheinung nur zu Anfang der Behandlung auf, später stellt sich der Körper auf die Dosis ein. Auch nach einer längeren Therapiepause braucht die Dosis nicht mehr so langsam auftitriert werden, sie wird in der vorher verabreichten Dosis meistens gut toleriert.

 

3. Magen-Darmbeschwerden

Wird Methylphenidat auf nüchternen Magen oder nur nach Flüssigkeitszufuhr eingenommen, kann es zur verstärkten Magen-Darm-Motorik kommen, die als schmerzhaft empfunden wird.

Durch eine ausreichende Nahrungszufuhr vor der Tabletteneinnahme können diese Nebenwirkungen weitgehend vermieden werden, wobei das empfohlene Zeitintervall von einer Stunde zwischen Essen und Tabletteneinnahme in der Praxis des Schulalltags kaum einzuhalten ist. Meist müssen 10-20 Minuten ausreichen, und dieses Zeitintervall ist realisierbar.

 

4. Schlafstörungen

Wenn die Diagnose ADHS stimmt, dürfen Stimulanzien bei den Betroffenen keine Schlafstörungen machen, wenn man folgendes beachtet:

Die Stimulanzien bewirken beim ADHS eine innere Ruhe mit verbesserten kognitiven Fähigkeiten und der Möglichkeit der „Gedankenausrichtung“. Wenn aber die Wirkung der Stimulanzien nachlässt, dann kommt es infolge des Rebound-Effektes (Rückschlag-Effekt) vermehrt zur inneren Unruhe mit „Einschießen“ vieler Gedanken, was dann erhebliche Einschlafprobleme bereiten kann.
Da dieser Rebound-Effekt zu Beginn der Stimulanzienbehandlung besonders ausgeprägt und länger anhaltend ist, muss schon auf diese Nebenwirkung hingewiesen werden.

Später kann dann, wenn nötig, das Stimulans bei Patienten mit ADHS auch nach 16 Uhr gegeben werden. So müssen z.B. viele Gymnasiasten oder Schüler der höheren Klassen abends noch lernen. Soll das Lernen effektiv sein, d.h. das Gelernte auch nach Tagen noch abrufbereit sein, empfiehlt sich immer ein Lernen unter Stimulanzienwirkung.
Diese stellen Botenstoffe bereit, die das Gelernte vom Arbeitsgedächtnis zum Langzeitgedächtnis transportieren, wo es gespeichert wird und jederzeit wieder abrufbereit ist, vorausgesetzt, es sind die nötigen Neurotransmitter vorhanden.
Inzwischen nehmen sehr viele Jugendliche und Erwachsene noch nach 16 Uhr Methylphenidat ein und klagen weder über Einschlaf- noch über Durchschlafprobleme. Sie müssen nur ihre Nachtruhe beginnen, bevor das Medikament aufhört zu wirken.

Soweit meine Erfahrungen aus der Praxis, deren Berücksichtigung ich allen empfehlen kann.

Dr. med. H. Simchen